Nach Waffenruhe und ersten Freilassungen: Hilfslieferungen für Gazastreifen angelaufen
Nach dem ersten Austausch von Geiseln und Gefangenen im Rahmen des Waffenruhe-Abkommens zwischen Israel und der islamistischen Hamas sind umfangreiche Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen angelaufen. Nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher fuhren nach Beginn der Feuerpause am Sonntag 630 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfsgütern in den Gazastreifen. Zuvor waren drei seit gut 15 Monaten im Gazastreifen festgehaltene Frauen sowie im Anschluss 90 palästinensische Gefangene freigekommen.
Bereits Minuten nach Inkrafttreten der Feuerpause verkündeten die Vereinten Nationen, dass die ersten Lastwagen mit Hilfsgütern im Gazastreifen angekommen seien. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) teilte mit, erste Lastwagen mit Hilfsgütern seien über die Grenzübergänge Kerem Schalom und Eres in den Gazastreifen gefahren. Allein am Sonntag brachten 630 Lastwagen Hilfsgüter in das Palästinensergebiet, davon 300 in den Norden, wo die Menschen besonders große Not leiden.
Im Rahmen des Waffenruhe-Abkommens wurde auch festgelegt, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu ermöglichen, wobei 600 Lkw täglich angestrebt werden. "Nach 15 Monaten Krieg ist der Bedarf an humanitärer Hilfe enorm", erklärte Fletcher. WFP-Vizechef Carl Skau sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Wir versuchen, so schnell wie möglich eine Million Menschen zu versorgen."
Indes sind die drei Israelinnen Romi Gonen, Doron Steinbrecher und Emily Damari, die mehr als 15 Monate in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen waren, nach Israel heimgekehrt. Die drei Frauen waren am Sonntag im Gazastreifen dem Roten Kreuz übergeben worden. Sie wurden dann in Israel mit ihren Müttern vereint und schließlich in ein Krankenhaus gebracht.
Nach ihrer Rückkehr nach Israel veröffentlichte die Armee ein Foto der lächelnden Emily Damari neben ihrer Mutter, auf dem sie mit einer bandagierten Hand mit offenbar nur noch drei Fingern in die Kamera winkt. Ihre Tochter Emily habe ihr Leben zurück und sei "das glücklichste Mädchen der Welt", erklärte Damaris Mutter. Ihr gehe es "viel besser, als wir alle erwartet haben".
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin sagte, das Abkommen sei "eine gute Nachricht". Nun gehe es darum, "diesen Waffenstillstand zu stabilisieren". Mit Blick auf die "dramatische Unterernährung" im Gazastreifen begrüßte das Auswärtige Amt die Aufstockung der humanitären Hilfe.
In der ersten, 42 Tage dauernden Phase des Waffenruhe-Abkommens zwischen Israel und der Hamas sollen nun weitere 30 Geiseln freikommen. Ein ranghoher Hamas-Vertreter sagte AFP, die "zweite Gruppe" israelischer Geiseln werde "am nächsten Samstagabend" freikommen.
Im Gegenzug sollen hunderte Palästinenser aus israelischer Haft entlassen werden. Israel sprach am Freitag von 737, der Vermittlerstaat Ägypten von 1890 palästinensischen Gefangenen. In der Nacht zum Montag ließ Israel bereits 90 palästinensische Gefangene frei, wie die israelischen Gefängnisbehörde mitteilte.
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, bezeichnete das Waffenruhe-Abkommen im ZDF-"Morgenmagazin" als "Pakt mit dem Teufel". Es sei "nicht einfach", die Infrastruktur der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen zu beseitigen und gleichzeitig die Geiseln zurückzuholen, gab Prosor zu bedenken.
Netanjahus Kabinett hatte in der Nacht zu Samstag dem Abkommen mit der Hamas zugestimmt. Damit gibt es erstmals seit November 2023 wieder eine Waffenruhe.
Wenige Stunden nach Beginn der Waffenruhe machten sich bereits tausende Palästinenser auf den Weg zurück in ihre Häuser. Die Hamas kündigte einen Wiederaufbau des Gazastreifens an. "Der Gazastreifen mit seinem großartigen Volk und seiner Widerstandskraft wird wieder aufstehen, um neu aufzubauen, was die Besatzung zerstört hat, und den Pfad der Standhaftigkeit gehen, bis die Besatzung besiegt ist", erklärte die radikalislamische Palästinenserorganisation.
Den Krieg im Gazastreifen hatten die Hamas und mit ihr verbündete Gruppen mit ihrem Großangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst. Dabei wurden israelischen Angaben zufolge 1210 Menschen getötet, 251 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt.
91 der Verschleppten sollen sich nach wie vor dort befinden, 34 von ihnen sind laut der israelischen Armee tot. Unter den verbliebenen Geiseln befindet sich auch eine niedrige zweistellige Zahl von Menschen mit Deutschland-Bezug, wie es aus dem Auswärtigen Amt heißt.
Israel ging seit dem Hamas-Überfall massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, bis Sonntag 46.913 Menschen getötet.
H.Nicolini--LDdC